Doppelseite aus dem Salzweger Blattl zum Fund von Inschriften von KZ-Gefangenen des Außenlagers Passau I auf einer Bodendiele, 1984
Foto: Ralf Lechner © SPD Salzweg, 2025
Wir haben zwanzig Jahre zwischen den Wänden des abgebrochenen Konzentrationslagers gelebt (…) – erinnerte sich Elisabeth Schaudinn 1984 im Salzweger Blattl, der Veröffentlichung des SPD-Ortsvereins Salzweg-Straßkirchen in Niederbayern. Sie war mit ihrer Familie in der Nachkriegszeit nach Passau gekommen, wo sie sich ihre erste Bleibe aus wiederverwerteten Brettern zusammenbauten. Dass diese Bretter ursprünglich Teil von Unterkunfts- bzw. Zwangsarbeitsbaracken des KZ-Außenlagers Passau I waren, fand sie erst später heraus; genauso wenig wusste sie vom Lager selbst: Niemand hatte es je, in über dreißig Jahren, erwähnt.
Dabei war dieses Lager, etwas außerhalb von Passau im heutigen Salzweger Ortsteil Oberilzmühle gelegen, der lokalen Bevölkerung bekannt. Ursprünglich mit dem ersten Transport von 24 Gefangenen am 19. Oktober 1942 unter Verwaltung des KZ Dachau in Betrieb genommen, war es vom 20. November 1942 bis Anfang Mai 1945 im Zuständigkeitsbereich des KZ Mauthausen.
Insgesamt wurden 102 Männer im KZ-Außenlager Passau I festgehalten. Hinzu kamen im März 1945 noch 15 Gefangene, die das Subkommando Passau III bildeten, aber mit externen Zwangsarbeiten bedacht wurden. Neben polnischen und deutschen Männern, als „Schutzhäftlinge“ oder „Berufsverbrecher“ kategorisiert, befanden sich in diesem KZ politisch Verfolgte aus ganz Europa, die einer kleinen Wachmannschaft aus SS-Angehörigen, ehemaligen Luftwaffe- und wenigen Wehrmachtssoldaten beaufsichtigt wurden.
Verantwortlich für das Ausbeutungsprojekt in Oberilzmühle war Arno Fischer (1898–1982). Der Techniker und Entwickler des Unterwasserkraftwerks benutzte die Gefangenen als Zwangsarbeiter für seine Forschungsstätte. Sie sollten eine Kraftwerksanlage zur Stromgewinnung an der Ilz unweit des Außenlagers bauen. Der SA-Führer entwickelte sich als Protegé bayerischer Gauleiter zu einer zentralen Figur der NS-Wasserwirtschaft. Mit diesen Verbindungen konnte er im Mai 1942 Gelände und Gebäude in Oberilzmühle aus städtischem Stiftungsbesitz kaufen.
Vermutlich basierte schon die Verlegung der Forschungsstätte, mindestens aber die folgende Ausweitung des Gefangeneneinsatzes und des Geländes auf einem Deal mit Heinrich Himmler und dem SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt. Waren die Gefangenen bis Oktober 1943 noch in einer Baracke an der Ilz untergebracht, mussten sie in der Folge in eine neu errichtete Holzbaracke (Block II) ziehen. Block II lag neben Garagen oberhalb der Ilz und einem darunter befindlichen Bauernhofkomplex. Darunter befanden sich ein umfunktioniertes Gasthofgebäude, weitere Lagerbaracken, ein Sägewerk und Baracken für die SS-Wachmannschaft.
Nach Kriegsende wurden nicht nur von Elisabeth Schaudinn und ihrer Familie Bretter aus diesem Barackenkomplex zweckentfremdet. Bei Umbauarbeiten in einem Wohnhaus in Oberilzmühle wurde ein beschriftetes Brett entdeckt, das zuvor als Dielenboden gedient hatte. Das von polnischen und deutschen Gefangenen beschriftete Holz, heute in Privatbesitz, ist ein wertvolles Zeugnis der Solidarität innerhalb der Zwangsgemeinschaft.
Als das Brett am 10. September 1943 datiert wurde, waren 40 Gefangene vor Ort; vor allem polnische und deutsche bzw. österreichische Männer. Letztere kämpften im Spanischen Bürgerkrieg im Widerstand gegen Franco, waren auch deswegen verfolgt und über das KZ Dachau nach Passau I deportiert worden. Die polnischen Männer waren wegen tatsächlichem oder unterstelltem Widerstand verhaftet und ins KZ-System deportiert worden. Das Brett als Objekt und das Salzweger Blattl als Metaobjekt ermöglichen es, diesen lokalen NS-Terror noch nach über 80 Jahren zu veranschaulichen.
Moritz Grote