Fotografie vom Fundstück aus dem Nachlass von Heimrad Bäcker, ohne Jahr

Fundstück aus dem Nachlass von Heimrad Bäcker

Fundort: Gelände der Konzentrationslager Gusen und Mauthausen

Objekt aus Stahl, ohne Jahr, 23 x 181 x 54 cm
mumok - Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Schenkung Michael Merighi
© Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien

 

Heimrad Bäcker (1925–2003) war ein Schriftsteller und Verleger, der als ein wichtiger Vertreter der konkreten Poesie die literarische Avantgarde Österreichs nach 1945 maßgeblich prägte. Seine Arbeit war vielfältig und umfasste nicht nur literarische, sondern auch bildkünstlerische und dokumentarische Aspekte. In seiner künstlerischen Arbeit beschäftigte er sich intensiv mit dem Nationalsozialismus, insbesondere mit dessen Verbrechen und mit seiner eigenen Jugend im NS-Staat. Diese, ihn zeitlebens begleitende, Reflexion war nicht nur eine intellektuelle Auseinandersetzung, sondern auch eine tiefgehende persönliche Nachforschung. Bäcker entwickelte ein einzigartiges Textverfahren, bei dem er historische Zitate und Dokumente montierte, um die Strukturen des Nationalsozialismus aufzuzeigen, zu reflektieren und zu verarbeiten.

 

Ab den späten 1960er-Jahren befasste sich Bäcker ausführlich mit den Überresten der ehemaligen Konzentrationslager Gusen und Mauthausen, die er anhand einer fotografischen Spurensuche dokumentierte. Zusätzlich zu den Fotografien sammelte er auch Fundstücke – Fragmente und bauliche Reste der Gedenkstätten und ihres Umlandes aus Metall, Holz oder Beton. 

 

Seine Fotografien, die bei zahllosen Begehungen entstanden, verdeutlichen nicht nur die allmähliche Veränderung der Landschaft, der Arbeitsstätten und der Baracken, sondern auch die Entwicklung und Transformation der Gedenkstätten. Bäcker veranschaulicht dabei sowohl den Verfall als auch die Umnutzung ganzer Areale, die der Zeit überlassen, oder aber durch bewusstes Eingreifen einer anderen Verwendung zugeführt wurden. Es entstanden Bilder und Bildserien, die nicht nur einen topografischen, sondern auch einen zeitlichen Wandel abbilden und gleichzeitig eine Art visuelle Chronik der Vergänglichkeit schaffen.

 

Die gestalterische Ausarbeitung seiner fotografischen Aufnahmen war ihm dabei sehr wichtig und zeugt von einer Auseinandersetzung mit dem Bildlichen, die ein rein dokumentarisches Festhalten von Begebenheiten erweitert beziehungsweise darüber hinaus geht. Durch seine experimentellen Methoden, wie verschiedene Belichtungen, Bildausschnitte oder serielle Anordnungen, gelang es ihm, eine besondere Bildsprache zu entwickeln. Oft machte Bäcker von denselben Motiven mehrere Abzüge, führte unterschiedliche Bearbeitungen durch und arbeitete an verschiedene Präsentationsformen. Die Grenzen zwischen Dokumentation und Kunst ließ Bäcker bewusst verschwimmen. Seine wechselnde Formensprache, schreckt weder vor traditionellen Kompositionsmustern noch vor abstrakten Bildformen zurück.

 

Die Fundstücke, die Bäcker auf seinen Spaziergängen sammelte, erzählen eine Geschichte, die durch seine Sammlung wieder zugänglich gemacht wird. Die ursprüngliche Nutzung der Objekte ist meist nicht mehr bekannt oder nachvollziehbar, so auch bei der Stahlplatte, die hier beschrieben wird. Doch durch ihre Bergung und Bewahrung erhalten sie eine neue Funktion als Gedächtnisfragmente. Mit Bäckers Archivierung und Einordnung wird die Bedeutung der Objekte als Teile des KZ Mauthausen und seiner Außenlager gesichert und bleibt unbestreitbar. Sein Schaffen steht somit exemplarisch für eine Form der Erinnerung, die sich nicht allein auf die offizielle zeitgenössische Geschichtsschreibung verlässt, sondern die Spuren der Vergangenheit bewusst aufspürt und sichtbar macht. 

 

Seit 2015 befindet sich der fotografische Nachlass Heimrad Bäckers sowie die Fundstücke als Schenkung von Michael Merighi im mumok. Ein Konvolut, das mit über 14.000 Fotografien, Negativen, Notizen, Textinstallationen und Fundstücken die thematische Vielfalt sowie den außergewöhnlichen Umgang Bäckers mit der Geschichte widerspiegelt. 

 

 

Marie-Therese Hochwartner, Anna Kudla, Nora Linser

mumok-Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien

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