Lageplan der „Versuchsanstalt der Waffen-SS“, St. Aegyd, 1944

Lageplan der Versuchsanstalt der Waffen-SS, St. Aegyd
Lageplan, Maßstab 1:2.500; 38,5 x 27,3 cm
Zentralbauleitung der Waffen-SS und Polizei Linz, 10. August 1944, Plan Nr. 1153
Gedenkinitiative KZ-Außenlager St. Aegyd am Neuwalde (GISTA), Sammlung [vermutlich] Kraftfahrtechnische Versuchsanstalt (KVA) der Waffen-SS in St. Aegyd (Deckname Alfred)

 

Der Lageplan einer Versuchsanstalt für gasturbinenbetriebene Panzer der Zentralbauleitung der Waffen-SS ist eines der Schlüsseldokumente zur Beantwortung der Frage, warum in St. Aegyd am Neuwalde im südlichen Niederösterreich im November 1944 ein KZ-Außenlager errichtet wurde. Der Dachbodenfund aus St. Aegyd am Neuwalde befindet sich in der Sammlung der örtlichen Gedenkinitiative KZ-Außenlager St. Aegyd (GISTA).

 

Im Juli 1944 war die Kraftfahrtechnische Lehranstalt der Waffen-SS in Wien-Schönbrunn (KTL Wien) vom SS-Führungshauptamt beauftragt worden, die in der Luftfahrt bewährte Turbotriebwerkstechnologie auf Panzer umzulegen. Innerhalb der KTL Wien wurde dafür die Gruppe Versuchsbau der Waffen-SS etabliert. Vermutlich aufgrund zunehmender Bombengefährdung in Wien hatte die Waffen-SS bereits 1943 das Caritashaus (Nr. 49 im Lageplan) in St. Aegyd beschlagnahmt. Dort kam es im Sommer 1944 zu mehreren Treffen von leitenden Mitarbeitern der KTL Wien und Gruppe Versuchsbau mit Vertretern weiterer beteiligter Institutionen und Unternehmen, dem Oberkommando der Luftwaffe, der Aerodynamische Versuchsanstalt Göttingen, der Technische Hochschule Braunschweig sowie der Turbinenfabrik Brückner, Kanis & Co. Besprochen wurden die technischen Details und die weiteren erforderlichen Schritte für die Konstruktion von Panzern mit Gasturbinenantrieb. Auf den Bau erster Prototypen in Wien sollte ab Mai 1945 die Weiterentwicklung und Testung der Panzer in St. Aegyd folgen. Dazu wurde die Kraftfahrtechnische Versuchsanstalt der Waffen-SS (KVA) mit dem Decknamen Alfred gegründet, der die Aufgabe zukam, unter Heranziehung von KZ-Zwangsarbeitern in St. Aegyd ein Testgelände mit Versuchswerkstätten und Prüfständen zu errichten, wie im vorliegenden Plan vermerkt ist. 

 

Laut dem eingenordeten Lageplan im Maßstab 1:2.500 sollte das Gelände der Prüfstände auf einem bewaldeten Areal südlich und rund 60 Höhenmeter oberhalb des Ortes entstehen. Dieses Waldareal wird heute als Fest- und Veranstaltungsplatz genutzt und umgangssprachlich als Pfarreben bezeichnet. Die Versuchswerkstätten sollten am Ortsrand neben den Ortsfriedhöfen gebaut werden, wofür mehrere Grundstücke der katholischen Pfarre St. Aegyd beschlagnahmt wurden.

 

Am 2. November 1944 wurden die ersten 300 KZ-Häftlinge aus dem KZ Mauthausen nach St. Aegyd transportiert. Ein Schutzhaftlagerbereich mit zwei Baracken, Wachtürmen, Stacheldraht und Starkstrom wurde errichtet. Bis zur Lagerräumung am 1. April 1945 waren rund 500 Häftlinge beim Aufbau der notwendigen Infrastruktur eingesetzt. Die KZ-Zwangsarbeiter aus 18 Ländern waren überwiegend politische Häftlinge aus Polen und Jugoslawien und der Sowjetunion (Haftkategorie RZA – „Russische Zivilarbeiter“). 

Die schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen kombiniert mit ständiger Gewalt durch SS-Bewacher und Kapos waren für die Häftlinge katastrophal: Die Arbeitskommandos mussten durchwegs im Freien arbeiten, etwa beim Erdaushub, bei der Errichtung von Gebäuden und einer Gleisanlage sowie in der Schotter- und Holzgewinnung. Die harte körperliche Arbeit, die mangelhafte Ernährung und Verpflegung sowie die winterlichen Bedingungen in den niederösterreichischen Voralpen führten dazu, dass 160 Häftlinge des ersten Transports schon nach kurzer Zeit nicht mehr arbeitsfähig waren und ins KZ Mauthausen rücküberstellt wurden, wo viele von ihnen im „Sanitätslager“ starben. Direkt vor Ort kamen 46 Männer ums Leben, die in einem Massengrab – dem heutigen KZ-Friedhof – beerdigt wurden.

 

Bis zur Räumung des Lagers wurden lediglich einige Werkstätten-Gebäude umgesetzt, die Prüfstände oberhalb des Orts kamen über das Planungsstadium nicht hinaus. Soweit bekannt ist, kam es in St. Aegyd nie zur Testung von Panzerprototypen. Heute sind in St. Aegyd abgesehen von dem Massengrab, das seit Winter 1945 als KZ-Friedhof auch mit einem Holzkreuz markiert ist, keinerlei Baureste mehr erhalten geblieben.

 

Christian Rabl

GISTA - Gedenkinitiative KZ-Außenlager St. Aegyd am Neuwalde

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