Fotografien der Gedenkaktion für die „vergessenen“ Opfer des Nationalsozialismus, Morzinplatz Wien, 17. Juni 1999
QWIEN, Inventarnr.: F-E-1-1-1, F-E-1-1-2
Fotograf*in unbekannt
Das Österreichische Lesben- und Schwulenforum (ÖLSF) war in den 1990er-Jahren ein engagierter Teil der homosexuellen Emanzipationsbewegung in Österreich. Ein Teil seiner Tätigkeit war das Engagement für die Erinnerung an die als homosexuell verfolgten Opfer des Nationalsozialismus. Denn obwohl das Nationalfondsgesetz 1995 erstmals eine staatliche Anerkennung mit sich brachte, wurden als homosexuell Verfolgte erst 2005 in das Opferfürsorgegesetz aufgenommen.
Somit traf die Aufschrift Totgeschlagen – Totgeschwiegen, die auf der Gedenktafel zur Erinnerung an die homosexuellen Opfer in der Gedenkstätte Mauthausen eingraviert ist, sowohl auf die offizielle Erinnerungskultur als auch auf die Zivilgesellschaft vollumfänglich zu: Diese Opfergruppe wurden totgeschwiegen – abgesehen von minimalen Initiativen aus der Homosexuellenbewegung verhallten alle Appelle, sie in die offiziellen Erinnerungs-Aktivitäten einzubeziehen, ungehört.
In diesem gesellschaftspolitischen Klima veranstaltete das ÖLSF ein Gedenkprojekt ohne offizielle Genehmigung oder politische Beteiligung: Ein bestehendes Mahnmal wurde mit dem Gedenken an die dort ausgeklammerten NS-Opfergruppen erweitert und bereichert. Es handelte sich um das Mahnmal „Niemals Vergessen“ für die Opfer der Gestapo am Morzinplatz in Wien. Dieses wurde durch einen Holzbalken ergänzt, in den – eingeschnitzt und bemalt – die KZ-Winkel in den Farben Rosa, Schwarz, Grün, Violett und Braun, für diejenigen, die das nationalsozialistische Regime als „homosexuell“ oder „asozial“, als „Berufsverbrecher“, „Bibelforscher“ oder „Zigeuner“ kategorisiert und verfolgt hatte. Niedergelegt wurde der Balken auf den Kranzhalterungen an den Seiten des Mahnmals und befand sich somit auf Kniehöhe davor.
Die Idee des damaligen ÖLSF Co-Vorsitzenden bezog sich dabei direkt auf die Entstehung des Denkmals selbst. Denn der Guerilla-Gedanke, der zur Erweiterung durch den Holzbalken geführt hatte, lag ebenso in dessen eigener Entstehungsgeschichte im Jahr 1951: In den politischen Aushandlungsprozessen der Jahre nach der Befreiung Österreichs vom NS-Regime war das Gedenken an seine Opfer ein hoch umstrittener Prozess. Einige Vorhaben zur Errichtung größerer Gedenkorte scheiterten oder wurden immer wieder verzögert. Die gesellschaftliche Integration ehemaliger Parteimitglieder der NSDAP wurde allmählich von einem Großteil der Politik als bedeutsamer angesehen als die Erinnerung an die Regime-Opfer. Als Zeichen gegen diese Entwicklungen veranstaltete der KZ-Verband eine Kundgebung am 11. April 1951 und enthüllte dabei einen Gedenkstein für die Opfer der Gestapo, der nicht genehmigt und damit illegal war. Erst 1985 kam es zur Erweiterung um ein von Leopold Grausam jun. gestaltetes Mahnmal und damit zur Legalisierung des Gedenkzeichens.
Auch der Balken, der 1999 dem Mahnmal hinzugefügt wurde, war nicht genehmigt und nicht legal, auch er wurde im Zuge einer Kundgebung, nämlich der vierten Regenbogen Parade, niedergelegt. Auch er bezog sich direkt auf politisch und gesellschaftlich marginalisiertes Gedenken. Gerade aufgrund seines Materials und der Tatsache, dass er lediglich abgelegt, aber nicht befestigt wurde, war der Balken ungleich mehr von der Beseitigung bedroht als der seinerzeit errichtete Gedenkstein. Doch beide Projekte einte, dass sie ihr Gedenkzeichen dem städtischen Alltag überließen und auf den Fortbestand ihres Mahnmals nur hoffen konnten. Das Gedenkzeichen für die vergessenen Opfer schaffte es immerhin circa fünf Monate, bis es kurz vor den Gedenkfeierlichkeiten rund um den 9. November von unbekannter Hand entfernt wurde. Von ihm sind lediglich zwei Fotos erhalten. Aufrufe seitens des Zentrums Qwien auf social media, ob jemand noch Fotos der Gedenkaktion besitzt, waren bislang leider fruchtlos.
Hannes Sulzenbacher