Kugellagerteile aus der Produktion der Steyr-Daimler-Puch AG, 1944/1945

Kugellagerteile aus der Produktion der Steyr-Daimler-Puch AG, 1944/1945
Kugeln jeweils 12mm aus Stahl
Außenring Rillenkugellager ∅ 62 mm aus Stahl
Verein Museum Arbeitswelt, B18/1801 (Kugeln) und B18/1809 (Außenring)

Diese Kugellagerteile mussten von Häftlingen aus dem KZ-Außenlager Melk für die Steyr-Daimler-Puch AG (SDPAG) in Zwangsarbeit gefertigt werden. Kugellager sind mechanische Bauteile, die Reibung minimieren. Sie bestehen aus einem Innenring, einem Außenring und dazwischen angeordneten kugelförmigen Wälzkörpern. Sie werden auf vielseitige Art verwendet: im Maschinenbau zur Unterstützung von Wellen und Achsen in Motoren und Pumpen; bei Fahrzeugen für Räder und Motoren; bei Haushaltsgeräten in Waschmaschinen und Elektromotoren; bei Sportgeräten findet man Kugellager in Skateboards, Rollschuhen und Fahrrädern. Insgesamt sind Kugellager, dank ihrer hohen Belastbarkeit und langen Lebensdauer, unverzichtbare Komponenten in Technik und Alltag, ebenso in der Militärindustrie. 

In Steyr werden Kugellager seit 1922 hergestellt. Dieser Schritt markierte den Übergang der Österreichischen Waffenfabriks-Gesellschaft AG, die später Teil der Steyr-Daimler-Puch AG wurde, von der Waffenproduktion hin zur zivilen Fertigung, 

 

Während der Zeit des Nationalsozialismus war die SDPAG der drittgrößte Kugellagerproduzent des „Deutschen Reiches“ und erlebte eine massive Expansion. Die Belegschaft wurde innerhalb weniger Jahre auf fast 50.000 Personen versiebenfacht. Im von den Nationalsozialisten geplanten Stadtteil Steyr-Münichholz entstand eine neue Produktionsanlage für Kugellager, in unmittelbarer Nähe wurde ein Außenlager des KZ Mauthausen und mehrere zivile Zwangsarbeitslager errichtet. Etwa 2.000 Häftlinge des KZ Mauthausen und zehntausende Zwangsarbeiter*innen mussten für die SDPAG produzieren, darunter vor allem Frauen und Männer aus Osteuropa. Die Zwangsarbeitslager waren vollständig umzäunt und streng bewacht.

 

Im Zweiten Weltkrieg wurden Kugellager in Kampfflugzeugen, Panzern und Motoren essenziell für die Rüstungsproduktion. Nach den Luftangriffen auf Steyr im Jahr 1944 und der teilweisen Zerstörung der Hallen plante die SDPAG, die Produktion in unterirdische Stollen zu verlagern. Häftlinge des KZ-Außenlagers Melk wurden gezwungen, Stollen in Roggendorf bei Melk auszubauen, um dort Kugellager herzustellen. Innerhalb eines Jahres starben etwa 5.000 der über 14.000 Häftlinge des KZ Melk aufgrund der unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen.

 

Die Aufarbeitung der NS-Zeit in Melk und Steyr begann erst Jahrzehnte später. 1992 wurde in Melk eine erste Ausstellung im ehemaligen Krematoriumsgebäude eingerichtet. In Steyr wurde 2013 der vom Mauthausen Komitee Steyr initiierte und geplante Gedenkort STOLLEN DER ERINNERUNG eingerichtet, der heute vom Museum Arbeitswelt betreut wird. Die Ausstellung in einem ehemaligen Luftschutzstollen befasst sich mit dem KZ-Außenlager Steyr-Münichholz, der Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie und den Luftangriffen. Sie rückt die Schicksale der Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlinge in den Fokus, die unter anderem Kugellager produzieren mussten.

 

2018 zeigte das Museum Arbeitswelt die Ausstellung ARBEIT IST UNSICHTBAR, die die unsichtbare Geschichte hinter Produkten beleuchtete. Diese Kugellager wurden hier exemplarisch dargestellt. Sie waren 2017 von der ARGE Quarz Roggendorf in den Stollenanlagen in Roggendorf geborgen und dem Museum übergeben worden. 

Die Kugellager stehen symbolisch für die Entscheidungen unserer Gesellschaft, da sie sowohl für friedliche als auch militärische Zwecke verwendet werden können. Den Werkstücken selbst sieht man nicht an, unter welch grauenvollen Bedingungen sie produziert wurden.

 

Martin Hagmayr

Museum Arbeitswelt

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