Holzschatulle von unbekannten griechischen Häftlingen des KZ Melk, um 1945

Holzschatulle gefertigt von unbekannten griechischen Häftlingen des KZ Melk, um 1945
Verein MERKwürdig, Schenkung von Silvia Greindl und Hendrike Sora (2021)
Foto: Christian Rabl

Von April 1944 bis April 1945 existierte in der Melker Pionierkaserne eines der größten Außenlager des KZ Mauthausen. Unter dem Decknamen Projekt Quarz mussten die Häftlinge im Wachberg bei Roggendorf eine Stollen­anlage für die unterirdische, vor alliierten Bombenangriffen geschützte Kugellagerproduktion der österreichischen Rüstungsfirma Steyr-Daimler-Puch AG (SDPAG) errichten. Aufgrund der unmenschlichen Bedingungen der Zwangsarbeit starben 4.896 der insgesamt ca. 14.293 Häftlinge des KZ Melk.

 

423 der Gefangenen waren Männer griechischer Herkunft. Etwa ein Viertel von ihnen kam im KZ Melk ums Leben. Die meisten waren aufgrund ihrer Widerstandstätigkeit in Griechenland während der deutschen Besatzung als „Schutzhäftlinge“ inhaftiert worden. Weitere 50 Personen wurden als „jüdisch“ klassifiziert. Die meisten kamen im Mai 1944 ins Lager, einige auch Ende Jänner 1945 aus Auschwitz-Birkenau über das KZ Mauthausen nach Melk. Sie stammten zur Hälfte von griechischen Inseln wie etwa Euböa, Korfu, Rhodos, Zakynthos und Kreta. Die restlichen Griechen kamen aus verschiedensten Regionen des Festlandes, aus Thessaloniki, Epirus sowie von den Halbinseln Peloponnes und Chalkidiki. Die Griechen waren zu 80 % als „Hilfsarbeiter“ für die Zwangsarbeit in der Stollenanlage eingesetzt, der Rest konnte aufgrund beruflicher Qualifizierung „Facharbeiter“-Positionen erlangen, etwa als Ingenieure, Maurer, Mechaniker, Schmiede oder Tischler. Zwei Griechen fungierten im KZ Melk als „Funktionshäftlinge“ – Christos Christu aus Saloniki als Koch und Vassilios Rakopulos aus Ioannina als Häftlingsarzt.

 

Diese Holzschatulle mit Intarsien aus gebügelten Strohhalmen wurde von namentlich nicht bekannten griechischen Häftlingen des KZ Melk gefertigt und Dr. Josef Sora geschenkt. Die Schatulle diente vermutlich der Aufbewahrung von Memorabilien an eine geliebte, verlorene Person und zeigt verschiedene griechische Motive: Auf dem Deckel befindet sich eine Darstellung von Hades beim Raub der Persephone; an beiden Kopfseiten befinden sich zwei Amphoren und eine minoische Doppelaxt, möglicherweise in Anspielung auf Minos‘ Rolle als Totenrichter nach seinem eigenen Tod; die vordere Seite zeigt einen liegenden Krieger mit Schild und Helm, angelehnt an das Grabmal des Unbekannten Soldaten in Athen und ähnliche Gefallenendenkmäler in Griechenland. Neben der Darstellung des Kriegers befindet sich auf der Schatulle, ebenso wie bei dem Denkmal in Athen, ein Zitat aus Thukydides‘ Epithaphios: ΑΝΔΡΩΝ ΕΠΙΦΑΝΩΝ ΠΑΣΑ ΓΗ ΤΑΦΟΣ [Denn von ausgezeichneten Männern ist die ganze Erde das Grabmal.]

 

Der Beschenkte, Dr. Josef Sora (1910-2001), war Luftwaffenstabsarzt und ab Juli 1944 zur Wachmannschaft des KZ Melk überstellt, wo er im Krankenrevier als Lagerarzt eingesetzt wurde. Dort behandelte er die Häftlinge und versuchte sein Möglichstes, um ihnen zu helfen. Er sprach sie etwa mit ihrem Namen oder möglichst in ihrer Muttersprache an (er sprach Französisch, Italienisch und ein bisschen Spanisch) und versorgte die kleine geheime Widerstandsorganisation der Häftlinge um die beiden Lagerschreiber Hermann Hofstädt und André Ulmann mit Informationen. Sora übte in einem umfangreichen Bericht vom Jänner 1945 an die medizinische Abteilung des KZ Mauthausen Kritik an den gravierenden Mängeln in der Ausrüstung und Ernährung der Häftlinge. In den Tagen vor der Auflösung des Lagers im April 1945 soll er mit dem damaligen Melker Landrat Leopold Convall Pläne der SS vereitelt haben, sämtliche Häftlinge in die Stollen einzusperren und diese dann zu sprengen.

 

Aus Dankbarkeit für Soras couragiertes Verhalten schenkten ihm KZ-Häftlinge bzw. Überlebende einige Zeichnungen und Objekte, darunter auch diese Schatulle. Nach Auskunft von Soras Töchtern blieb er bis zu seinem Tod 2001 mit ehemaligen Häftlingen in Briefkontakt.

 

Christina Kandler

MERKwürdig Zeithistorisches Zentrum Melk

 

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